„Traditionelles auf neue Weise interpretieren, ohne den Bezug zur Region zu verlieren“

Handwerkskunst trifft Kochkunst: Bierbrauen, eigenes Gemüse, Slow Food und ein kreativer Umgang mit regionalen Zutaten prägen die Philosophie der Obermühle in Görlitz. Jörg Daubner, gelernter Koch und Geschäftsführer, erzählt in diesem Interview, wie ein Taxifahrer seinen Lebensweg entscheidend beeinflusste, warum Leidenschaft die wichtigste Zutat im Gastronomiebetrieb ist und welche Visionen er für die kulinarische Identität der Oberlausitz hat.
Herr Daubner, bevor wir über die Obermühle sprechen, erzählen Sie uns doch etwas über Ihren Werdegang. Wie sind Sie dorthin gekommen, wo Sie heute stehen?
Ich bin gelernter Koch und habe meine Ausbildung in Berlin absolviert, bevor ich an der Universität Potsdam studierte. Die Selbstständigkeit lernte ich früh durch meine Familie kennen. Meine Mutter hatte Lebensmitteltechnologie studiert und einen Abschluss im Bierbrauen gemacht. Die Obermühle gehörte ihr seit 1992, nachdem sie bereits seit 1953 im Besitz der Familie war. Ein Jahr später hat sie begonnen, selbst Bier zu brauen. Das haben wir dann auf dem Marktplätzen in der Region verkauft. Erst 1999 hat sie das Restaurant eröffnet. 2016 habe ich schließlich die Geschäftsführung des Familienunternehmens übernommen.
War die Übernahme und das Fortführen der Tradition schon immer Ihr Ziel?
Nicht unbedingt. Eigentlich wollte ich studieren und mich ausprobieren. Ein prägender Moment war dann eine Begegnung mit einem Taxifahrer in Berlin. Der riet mir, nicht Hotelmanagement zu studieren, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, sondern BWL und etwas fürs Herz – Philosophie. Sein Rat hat mich überzeugt. Einen Tag später habe ich mich in Potsdam für die beiden Fächer eingeschrieben.
Ein Fremder hat Ihnen Ihren eigentlichen Plan ausgeredet?
Genau, aber ich glaube an die Kraft solcher Momente. Wenn wir offen genug sind, erkennen wir einfach, dass Sachen Sinn ergeben. Das war für mich damals der Fall.
Was bedeutet Genuss und Essen für Sie ganz persönlich?
Essen ist für mich ein kulturelles Erlebnis. Genuss hat eine tiefere Bedeutung, wenn man die Hintergründe kennt – die Herkunft der Zutaten, die Techniken. Das habe ich besonders in meiner Zeit in der Sterne-Gastronomie im „Hugo’s“ in Berlin gelernt. Das prägt meinen Blick auf Qualität bis heute. Es geht darum, ein Handwerk zu verstehen und immer weiterzuentwickeln.
Wie sah Ihr Einstieg in die Obermühle aus? Haben Sie selbst noch viel gekocht?
Ja, am Anfang habe ich mitgekocht. Damals hatten wir fünf Mitarbeitende und ich musste viele Rollen gleichzeitig übernehmen. Während der Pandemie habe ich sogar selbst für die Kindergärten gekocht, als Notbetreuungskinder versorgt wurden. Kochen gehört weiterhin zu meinem Leben, aber meine Aufgaben liegen inzwischen vor allem in der Geschäftsführung.
Das Konzept der Obermühle ist besonders. Was zeichnet es aus?
Wir folgen der Slow-Food-Philosophie, die meine Mutter eingeführt hat. Regionalität und die eigene Herstellung stehen im Mittelpunkt. Wir brauen Bier, stellen Pasta und Destillate her, bauen Gemüse an und produzieren Apfelsaft. Das ist unser Anspruch: konsequent nachhaltig und kreativ.
Wie schaffen Sie es, ein so breites Angebot zu organisieren?
Es braucht Leidenschaft – und die hat eben manchmal auch viel mit Leiden zu tun. Gastronomie ist komplex und erfordert Engagement. Unser Team arbeitet sehr engagiert. Mein Führungsstil ist dabei immer kommunikativ und individuell. Ich frage immer: „Was brauchst du, damit es funktioniert?“ Vertrauen ist dabei zentral.
Wie spiegelt sich die Oberlausitz auf Ihren Tellern wider?
Wir versuchen, Traditionelles auf neue Weise zu interpretieren, ohne den Bezug zur Region zu verlieren. Ich habe einmal das schlesische Himmelreich modern interpretiert. Klassisch wird es mit Trockenobstsoße, Schweinebauch und Kartoffeln zubereitet. Meine Version bestand aus konfiertem Schweinebauch, einer Apfel-Whisky-Soße und einem Kartoffelsoufflé.
Welche Vision haben Sie für die kulinarische Identität der Oberlausitz?
Die kulinarische Identität der Oberlausitz zu definieren, ist eine Herausforderung. Aber ich denke, wir müssen den regionalen Charakter mit modernen Ansätzen verbinden. Das ist ein Prozess, den wir gemeinsam mit unserem Team gestalten. Die Oberlausitz ist kulinarisch ein Schmelztiegel – sie vereint polnische, tschechische und deutsche Einflüsse. Meine Vision ist, diese Vielfalt sichtbarer zu machen, ohne dogmatisch zu werden. Regionalität bedeutet für mich auch Offenheit und Kreativität.
Wie entwickelt Ihr Team die Speisekarte?
Wir arbeiten zunehmend partizipativ. Erst gestern haben wir beim gemeinsamen Grillen Ideen für die neue Karte gesammelt. Ambitionierte Köche brauchen Freiheiten, um ihre Kreativität einzubringen. Das ist wichtig für die Qualität und das Teamklima.
Zum Schluss: Was bedeutet es für Sie, in der Obermühle zu arbeiten?
Es ist ein Privileg, mit so einem tollen Team und dieser Geschichte arbeiten zu dürfen. Hier kann ich meine Leidenschaft für gutes Essen, Regionalität und Führung leben. Und ich hoffe, dass unsere Gäste das spüren.